esurance-CEO Andri Mengiardi schwört auf die Wechselwirkung zwischen digitaler Information und persönlicher Beratung. Im Interview erklärt er, für welche Kunden der hybride Ansatz besonders geeignet ist.
Die Digitalisierung im Versicherungswesen schreitet voran. Gibt es Stolpersteine?
Bei der ersten Digitalisierungswelle von 2015 glaubten viele InsurTech-Unternehmen* dass alles digital werde und der Mensch in Zukunft Versicherungen nur noch ab der digitalen Stange kaufe. Was im klassischen eCommerce passierte, würde auch beim Handel mit Versicherungen eintreffen, war die Hypothese. Viele dieser Start-ups scheiterten. Sie gingen davon aus, dass der Kauf von Versicherungen ein rationaler Prozess sei. Das ist aber nur teilweise so. Am Ende will man doch noch jemandem in die Augen schauen können, um sicher zu sein, das richtige Produkt gewählt zu haben. Das ist hoch irrational.
Verhalten sich alle Versicherungsnehmer gleichermassen irrational?
Nein, natürlich nicht. Im Privatkundengeschäft liegt die Online-Quote je nach Versicherungssparte zwischen fünf und zwanzig Prozent, Tendenz steigend. Im Unternehmenskundengeschäft hingegen liegt sie bei zwei bis fünf Prozent. Ein Modell der Hochschule St. Gallen zeigt: Je kleiner das Unternehmen ist, desto intuitiver, also aus dem Bauch heraus, werden Strategien entwickelt oder Entscheide gefällt, auch im Bereich Risikomanagement. Der Kleinunternehmer schliesst seine Police am liebsten beim Kollegen aus dem Turnverein ab, selbst wenn er anderswo bessere Konditionen für seine Risiken erhalten würde.
Erfolgreiches Verkaufen läuft also über Beziehungen?
Die Beziehung zwischen den Menschen ist der Schlüsselfaktor. Es geht um Vertrauen, das ganz selten rational hergeleitet werden kann. Je grösser hingegen ein Unternehmen ist, desto mehr Menschen sind im Prozess eingebunden und die ganze Vorgehensweise, wie Entscheide getroffen werden, gestaltet sich analytischer. Aber auch da geht es um Beziehungen: Die etwas rationalere Entscheidungsgrundlage wird dann einfach von einem Broker zur Verfügung gestellt.
Wie lässt sich auf digitalem Weg eine Beziehung zum Kunden aufbauen?
Beim Kauf beziehungsweise Verkauf von Versicherungen ist selten nur ein einzelner Mensch involviert. Die Frage ist also, wie können wir die Involvierten dazu befähigen, dass der Entscheidungsprozess noch einfacher und bequemer wird? Dazu dienen prozessuale Aspekte und Aspekte im Design von Versicherungsprodukten. Das machen wir bei esurance und damit haben wir Erfolg. Versicherungsprodukte sind ja nicht beim Kauf relevant, sondern im Schadenfall. Ein guter Schutz bedingt aber einen rationalen Prozess beim Kauf. Reine Information lässt sich auf digitalem Weg kontextuell gut vermitteln. Um auch die intuitiv denkenden Kunden abzuholen, ist aber eine Wechselwirkung zwischen digitaler Information und persönlicher Beratung notwendig.
Ein Rückschritt in der Digitalisierung?
Kein Rückschritt, eine Weiterentwicklung. Manche Kundinnen und Kunden möchten alles selber machen und können das auch. Denen stellen wir mit digitalen Self-Service-Strecken die entsprechenden Tools zur Verfügung. Sie werden durchnavigiert, recherchieren ihre Anliegen bis zum Kauf des Versicherungsprodukts selber. Die meisten wollen aber nicht die ganze Customer Journey digital alleine zurücklegen. Für diese Kundinnen und Kunden haben wir einen hybriden Versicherungsansatz entwickelt, bei dem eine Wechselwirkung zwischen der klassischen Versicherungsberatung und den Online-Strecken möglich ist. In der Regel startet der Prozess online und endet beim menschlichen Ansprechpartner, der für die gewünschte Vertrauensbasis sorgt.
Dann ist die Zukunft doch nicht ganz digital?
Was heisst digital? Tatsache ist, dass sich mit einem hybriden Vertrieb die Effizienz steigern lässt – besonders im Segment der sehr kleinen Firmen. Bei diesen steht der Aufwand für die Beratung im Vergleich zum daraus resultierenden Geschäft selten im Einklang, vor allem bei Brokern nicht. Digitalisierung ist also eine Frage der Effizienz und unabdingbar. Die Challenge: In einem hochkomplexen Umfeld Verständnis und Vertrauen schaffen. Je komplexer die Materie, desto anspruchsvoller wird das. Die Verknüpfung von digitalen und persönlichen Elementen kann den entscheidenden Unterschied machen.
* Versicherungsdienste, die mit digitalen Technologien arbeiten, Anm. d. Redaktion.