Am Übergang zwischen Schulzeit und Arbeitswelt ist die Berufsbildung eine besonders wichtige Zeitspanne: Sie prägt die Entwicklung und Identität der Jugendlichen stark. Trotz des ausgezeichneten dualen Berufsbildungssystems werden hierzulande 20 Prozent der Lehren abgebrochen. Die SWICA-Tochter WorkMed hat Berufsbildnerinnen und -bildner zu ihren Erfahrungen mit «psychisch auffälligen» Lernenden befragt.
Jugendliche müssen während ihrer Berufsbildung viele neuen Herausforderungen meistern. Dies, sowie der parallel ablaufende Übergang zum unabhängigen Erwachsenen-Dasein erhöht die Anfälligkeit für Krisen und psychische Probleme und kann zum Lehrabbruch führen. Wenn auch oft fehlendes Interesse oder fehlende Eignung für den gewählten Beruf die Ursache sein mag, so ist der Einfluss psychischer Faktoren auf den Lehrabbruch nicht zu unterschätzen.
Psychische Auffälligkeiten entwickeln sich früh
Rund die Hälfte aller psychischen Störungen beginnen bereits vor dem 15. Lebensjahr. Betroffene Personen haben häufig schon in der Schulzeit Probleme, die bei Lehrbeginn teilweise noch nicht gelöst sind. Vor diesem Hintergrund wurde auf Initiative des Zentrums für Arbeit und psychische Gesundheit WorkMed zusammen mit weiteren Gesundheitsorganisationen im Jahr 2021 eine Befragung unter Berufsbildnerinnen und -bildnern durchgeführt.
Ziel und Studiendesign
Ziel der im März 2022 publizierten Studie war es, herauszufinden, welche Arten von Auffälligkeiten im Ausbildungsbetrieb wahrgenommen werden. Wie häufig Lehrverläufe als problematisch beurteilt werden. Und welche Merkmale aus Sicht der Ausbildungsverantwortlichen als Schutz-, respektive Risikofaktoren für einen erfolgreichen Lehrabschluss gelten. Des Weiteren sollte die Untersuchung aufzeigen, wie sicher sich die Befragten im Umgang mit psychisch belasteten Lernenden fühlen. Basierend auf diesen Angaben werden die Angebote für alle Beteiligten gezielt weiterentwickelt. Im Zeitraum März bis Mai 2022 haben 6’365 Ausbildungsverantwortliche an der Onlinebefragung von WorkMed teilgenommen. Rund 3’000 von ihnen haben die Befragung vollständig beantwortet.
Rund ein Drittel der Problemfälle konnte gelöst werden
Völlig unproblematisch erleben Berufsbildende lediglich 41 Prozent der Lernenden. Bei 59 Prozent von ihnen nehmen sie hingegen psychische Auffälligkeiten wahr. Von diesen problematischen Lehrverläufen konnten die Probleme meistens – in 33 Prozent der Fälle – gut gelöst werden. Bei 26 Prozent konnten hingegen bis zum Schluss keine Lösungen gefunden werden. «Dieses Resultat muss man nicht dramatisieren: Psychische Probleme gehören bis zu einem gewissen Grad auch zur Pubertät. Aber man sollte es auch nicht bagatellisieren: Knapp die Hälfte der Lernenden mit Auffälligkeiten sind in einer Behandlung wegen ihres psychischen Problems», sagt Psychologe Niklas Baer, Leiter Entwicklung WorkMed und Mitglied des Forschungsteams.
Chancen und Gefahren für einen erfolgreichen Lehrverlauf
Die Untersuchung zeigt einige deutliche Risiko- und Schutzfaktoren auf für einen erfolgreichen Lehrverlauf. «Zu den Risikofaktoren gehören zum Beispiel familiäre Belastungen der Lernenden und Suchtprobleme wie auch Probleme mit der Disziplin, beim Einordnen ins Team oder Stimmungsschwankungen», erläutert Baer. Es gebe aber auch Risikofaktoren auf Seite der Lehrbetriebe: Viele langweilige und wenig sinnvolle Tätigkeiten sowie eine fehlende Offenheit gegenüber persönlichen Nöten von Lernenden begünstigten einen problematischen Lehrverlauf.
«Umgekehrt zeigen sich wichtige Schutzfaktoren: Lernende, die gute Freundinnen und Freunde haben und ihre Freizeit aktiv gestalten, haben meist einen unproblematischen Lehrverlauf. Es zeigt sich auch, dass Lehrabbrüche sehr selten vorkommen, wenn Lernende sich an Regeln halten und im Team mit anderen gut auskommen», ergänzt Baer.
Weiter ist entscheidend, wie mit Problemen umgegangen wird: «Lernende, die bei Absenzen im Kontakt mit den Berufsbildenden bleiben, auch zur Arbeit erscheinen, wenn es grad nicht so gut geht, aktiv bei der Lösungsfindung mithelfen, ihre Probleme nicht verdrängen und diese auch ansprechen, haben eine deutlich bessere Chance, dass die vorhandenen Schwierigkeiten gut gelöst werden können», so Baer.
Grosser Unterstützungsbedarf bei den Ausbildungsverantwortlichen
Schliesslich berichten die Berufsbildnerinnen und Berufsbildner, dass sie sich bei psychischen und Suchtproblemen von Lernenden besonders unsicher fühlen. Sie sind nicht geschult für solche Situationen und erhalten von den Eltern und auch von den Fachleuten sehr oft keine Unterstützung.
Niklas Baer resümiert: «Insgesamt zeigt diese Untersuchung, dass es letztlich auf ein paar wenige, aber wichtige Dinge ankommt: das private Umfeld der Lernenden, die Art ihrer Probleme und wie sie damit umgehen, die Kultur im Lehrbetrieb und das Bemühen, den Lernenden sinnvolle Arbeitsaufgaben vorzuhalten. Und es zeigt sich ein grosser Bedarf nach Unterstützung der Ausbildungsverantwortlichen.»